Wer an einen Stern gefesselt ist, kehrt nicht mehr um. (Michelangelo) 


Zur AusstelIung „Die End(d)eckung des Ganzen“ von Julius Ruge im Speicher am Katharinenberg in Stralsund lm Mai 2005 

Kunst kommt nicht von können, sondern von nicht mehr anders können. Dieser Satz meines Lehrers an der Stuttgarter Akedemie Hugo Peters schoss mir sofort durch den Kopf, als Julius Ruge mir seine Arbeiten vor mehr als zwei Jahren am CDFI präsentierte. Gerne hätte ich ihm damals eine Aufnahme ermöglicht, aber-wie so oft waren formale Gesichtspunkte mächtiger als die Kraft der Kunst. Um so mehr freut es mich das Julius an der Bauhausuniversität in Weimar einen Platz gefunden hat, an dem er seine offensichtlich ungebrochene Energie zu Bildern umformen kann. 

Nervosität und Kontentration, Geschwindigkeit und Präzision - sind wohl die wesentlichen Elemente seines künstlerischen Potenzials. Die Malerische Kraft der Farben und die Poesie der Zeichnung berühren einander, wechseln sich gegenseitig ab und verschränken sich ineinander. Die Arbeiten von Julius Ruge heben mehr als Spannung: Sie wirken wie geladen. Form umschreibende Linien schließen die Farbflächen hermetisch ein, als müßten sie die Farbe an der Detonation hindern. 

Farb- und Formgefühl sind die verläßlichen Begleiter bei seiner malerischen Odyssee durch das Land der Träume, durchzogen von Eros und Melancholie, auf der Suche nach Nähe und Verlässlichkeit, auf der Suche nach einem Ort, der nur ihm gehört und an dem Zeit und Raum ihre Bedeutung erst erhalten: 

dem Ort des Authentischen. 

Weggefährten 

oder 

Wer allein reist, ist von Zeit zu Zeit auf gute Freunde angewiesen 

Der expressive Zynismus Willem de Koonings, die Energie des zu groß geratenen Kindes Cy Twombly, die manische Expressivität eines Vincent van Gogh und auch der ironische Blick auf Fetisch und Macht dominanter Frauen eines Tommy Ungerer - in skulpturaler Unnahbarkeit inszeniert - begegnen uns hier gleichzeitig und uerbittlich! 

Vor diesen Bildern gibt es kein Entrinnen, Sie sind Grundlage und Nahrung einer physischen und psychischen Existenz, Vieles wird heute gemalt und be-hauptet. Diese Malerei ist Selbstbehauptung kurz: Sie Ist NOTWENDIG 

Sie will nicht einer modischen Spekulation mit der pfiffiigen Idee von Wiedererkennbarkeit und Marktlücke entsprechen. 

Joseph Beuys wurde einmel gefragt, ob es ihm etwas ausmache ein Spinner genannt zu werden. Er verwies auf die unermüdliche Arbeitskraft der Spinne, die etwas einmal begonnenes stetig fortsetzt und konsequent verfolgt. In diesem Sinne hielt er den Vergleich für zulässig, verstand ihn sogar als Auszeichnung. Antonin Attaud schreibt 1946 in seinem Buch „Van Gogh - der Selbstmörder durch die Gesellschaft“ 


EINES TAGES WIRD VAN GOGHS MALEREI. BEWAFFNET MIT FIEBER UND GUTER GESUNDHEIT, ZURüCKKEHREN, UM DEN STAUB EINER WELT IM KÄFIG IN DIE LUFT ZU SCHLEUDERN, DIE SEIN HERZ NICHT MEHR ERTRAGEN KONNTE 


Michael Soltau, im April 2005 


Tauchgang ins Unbewusste
Julius Ruge in der Potsdamer Galerie Gute Stube
 


Unter der Oberfläche von Julius Ruges akribisch gefertigten Kunstwerken ist Bewegung. Der Potsdamer Kunstverein zeigt seine Arbeiten aktuell in der Einzelausstellung „Cluster“.

In Julius Ruges Kindheitsträumen gibt es etwas, das er als „Zerreißmoment“ beschreibt: Immer wieder begegnen ihm abstrakte, dornige, aber auch ovale oder kugelartige Formen, die aus einer anderen Welt zu kommen und ihn selbst auszudrücken scheinen. Seine Versuche, sie zusammenzubringen, scheitern jedes Mal: Die Formen bleiben unvereinbar.
Die Erinnerung an die existenzielle kindliche Angst über die gefühlte Unvereinbarkeit materialisiert sich in seiner Kunst; durch seine Werkreihe „Splitter“ von 2020 zieht sich die Spannung zwischen den Gegensätzen. Scharfkantig stoßen sich tiefschwarze dornenartige Arme in immer neuen Variationen von durchlässigen plastischen Körpern ab, fast scheinen sie in Bewegung zu sein. Die Serie ist aktuell in seiner Einzelausstellung „Cluster“ in der Galerie Gute Stube des Potsdamer Kunstvereins zu sehen.
Manche der Zeichnungen wirken, als verzweige sich Tusche langsam auf Aquarellpapier – bei genauerem Hinsehen sind sie mit Ölkreide entstanden. Sie ist zum Zeichnen eigentlich nicht gut geeignet; zu grob und zu klebrig scheint sie fürs Filigrane. Umso beachtlicher, wie präzise Julius Ruge sie für seine kleinformatigen, feinen Zeichnungen einsetzt. Die Wiederholung spielt für ihn eine wichtige Rolle: Der Reiz liegt im Detail. „Ölkreide muss in einem gewissen Rhythmus aufgetragen werden, sonst scheitert man“, sagt er. Korrektur ausgeschlossen. 

Thomas Kumlehn, zweiter Vorsitzender des Potsdamer Kunstvereins, hat die Ausstellung kuratiert. Begegnet ist ihm Julius Ruges Arbeit während der Corona-Zeit. Die damals mit ihm geplante Gruppenausstellung fällt aus, Ruges Kunst bewegt sich in Kumlehn weiter. „Die Arbeiten begegnen einem auf den ersten Blick mit Wucht, dann entwickeln sie diesen Sog, je mehr Feinheiten man entdeckt“, so der Kurator. „Die Textur der Oberflächen ist faszinierend.“

Julius Ruge ist über Umwege zur Kunst gekommen: Nach seiner begonnenen Kochausbildung in einem Stralsunder Vier-Sterne-Haus beschäftigt er sich mit Graffiti, dann mit Zeichnung und Malerei bis hin zu einem angefangenen Kunststudium an der Bauhaus-Universität in Weimar. Nach seiner Rückkehr nach Potsdam arbeitet er einige Jahre parallel als Koch und Künstler. Letztes Jahr wurde er für den „Nachwuchsförderpreis für Bildende Kunst“ des Landes Brandenburg nominiert. 


Seine Graffiti-Vergangenheit hat sich in seine heutige Formensprache eingeschrieben: In der Ausstellung lässt sich verfolgen, wie er sie über acht Jahre hinweg mit unterschiedlichen Techniken weiterentwickelt hat. Ihr verbindendes Element: das Unbewusste. 


Scheinen seine minimalistischen „Artefakt“-Arbeiten Teil eines Rorschach-Tests zu sein, schickt er die Betrachtenden im Triptychon „Ein Kreuz und das böse Kind“ (2018) mit seinem Titel auf eine Spur: Formt sich hier die kindliche Unschuld im Runden ins Dämonische? 

In seiner „Dschinn“-Serie, die zwischen 2021 und 2024 entstanden ist, beschwört er Geister. Julius Ruge ist ein obsessiver Zeichner; Hunderte von Vorzeichnungen gehen den Arbeiten voraus. Dschinns sind nach islamischer Vorstellung übersinnliche Wesen: Geister, Dämonen, Schutzgötter. Sie können Menschen beeinflussen oder sogar von ihnen Besitz ergreifen. 

Bei Ruge nehmen sie den meisten Platz ein. Ungerichtet, fast wütend strecken sie sich über die großformatigen Leinwände. Aus der Nähe zeigt sich der Farbauftrag als genaues Gegenteil: Die Acrylfarbe ist akribisch Bahn für Bahn aufgetragen: mal zart und durchlässig, mal dick mit Nachdruck bis ins Körperhafte.
Der Übergang ins Psychologische ist fließend: Auch als unbewusste, abgespaltene Charaktereigenschaften werden Dschinns begriffen. „Provokateure“, sagt Ruge. Bei ihm verstecken sich die Geister auch in den „Splittern“ und „Artefakten“. In der Ausstellung kann man ihnen begegnen – seinen und eigenen. 
 

Tabea Hamperl

PNN Tagesspiegel
19.04.2024


 

"Explosition" 

Malerei und Collagen von Julius Ruge im Kunstwerk 

Die aktuellen Formate sind ziemlich groß, lebensgroß könnte man sagen, und so bemessen, dass eine aufrecht stehende oder lagernde Figur so gerade auf die Leinwand passt. Drei Figuren, ihrer Geschlechtlichkeit nach weiblich und dabei in ihrem ganzen Auftreten nichts Gutes verheißend, schließen sich zu einer Serie zusammen. Sie haben die Ausstrahlung von Skulpturen aus Stein, unnahbar und dämonisch, ihre Farbgebung setzt ganz auf Grau. Daneben ein Querformat: "23Starter". 

Gelb hervorlugend die Augäpfel einer verquält schauenden Frau. 

Im ersten Raum der Ausstellung "Explosition" von Julius Ruge im Kunstwerk ist einem nicht nach Lachen. Daran kann auch der so genannte „lustige Akt auf rotem Stuhl“ nichts ändern. Diese Malerei ist gegenständlich, der Figur und dem konkreten Motiv verpflichtet, ohne sich dabei auf ein Thema festzulegen. Bildtitel wie "black jesus" oder "Engel in der Mondumlaufbahn" spielen eher mit der freien Assoziation, als dass sie das Bildsujet auf eine Bedeutung festlegen. 

Von einer ganz anderen Seite zeigt sich der Potsdamer Künstler Julius Ruge im folgenden Ausstellungsraum. Die hier gezeigten Arbeiten sind durchweg abstrakt. Sehr gelungen in der Formsicherheit und Komposition ist die Collage „Hasenkopp“ auf schwarzem Grund. Hier wurden so unterschiedliche Elemente wie Fotonegative, Zeitungsausschnitte, eigene Zeichnung und Stücke von Klebestreifen geschichtet und zu einem spannungsvollen Arrangement verschränkt. Auch die Papierarbeiten "plusminusnull" und "Im Auge des Betrachters" zeugen von einem ausgeprägten Instinkt des jungen Künstlers (Jahrgang 1982) für Komposition und Formgefühl. Obwohl gerade seine schon vor Jahren entstandenen Collagen besonders interessant und ausgereift sind, hat Julius Ruge diese Technik vorläufig ad acta gelegt, um sich ganz auf das Malen zu konzentrieren. Geblieben ist seine Begeisterung für Gegenstände, die eine Vorgeschichte haben. Dinge mit Gebrauchsspuren, die einem was erzählen, wenn man sie in die Hand nimmt. Augenblicklich sind es alte Leinwände oder Sperrholzplatten, von denen sich Ruge zu neuen Bildideen hinreißen lässt. Nicht nur was, sondern auch wie er es malt, entwickelt er letztlich aus sich selbst heraus. Keiner Malschule fühlt er sich verpflichtet. Nach einem abgebrochenen Kunststudium an der Bauhausuniversität Weimar bleibt er vorläufig doch lieber Autodidakt. 

Die Einzelausstellung, mit der sich Julius Ruge im Kunstwerk präsentiert, ist mit Blick auf seinen schon viele Klippen gestreiften Entwicklungsweg ein echter Meilenstein. Für den Künstler, der dem Ruf der Malerei mit großer Ernsthaftigkeit folgt, wird die Ausstellung zur Standortbestimmung. Es ist wohl auch ein Ausloten der unterschiedlichen Strategien, sich der explosiven Kraft aufwühlender Stimmungen und Gefühle malend und zeichnend zu stellen. Malen wird für Julius Ruge – wie es Prof. Michael Soltau vom Caspar David Friedrich Institut der Universität Greifswald in seiner Laudatio treffend formulierte – zur Selbstbehauptung, zur Grundlage und Nahrung der psychischen und physischen Existenz. 

Als er noch sehr viel jünger war, fand Ruge über die Graffiti-Malerei zum künstlerischen Ausdruck. Inzwischen gelingt es ihm immer mehr, seine Malimpulse zu kontrollieren. Wenn er im Rückblick davon spricht, wie er früher kiloweise Kugelschreiberskizzen produziert hat, wie alles immer ganz schnell gehen musste, ist das längst Vergangenheit. Heute nimmt er sich ganz bewusst Zeit für seine Bilder, lässt sie auf sich wirken und gewinnt auf diese Weise Abstand zum eigenen Tun. Die Diskrepanz zwischen Bildern der Sorte "exploded head", gemalt in Acryl auf Packpapier, und den kleineren Formaten in Öl auf Leinwand oder Holz könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite Distanzlosigkeit und spontane, vom gestischen Ausdruck beherrschte Malerei, auf der anderen domestizierte Kraft und Selbstkontrolle bis zur kompletten Bewegungslosigkeit. Die zu steifer Pose geronnenen „Clownipärchen“ und Harlekine in reduzierter Farbigkeit führen die Gefahr eines Zuviel an auferlegter Selbstkontrolle vor. Das richtige Maß an Eigenzensur, aber auch zwischen Aufruhr und Erstarrung, Implosion und Explosion ist ganz ohne Frage eine schwierige Gratwanderung, die es jetzt zu nehmen gilt. Julius Ruge, der die Malerei gewählt hat, weil er sich dadurch fortbewegt, hat das Potential dazu. Und ist auf gutem Weg. 

Almut Andreae 

Potsdamer Neueste Nachrichten 12.06.2009 

Julius Ruge hat seine Ausstellung mit dem Begriff „Cluster“ überschrieben. Im Wörterbuch findet man dazu eine Definition, die Cluster „als einheitliches Ganzes zu betrachtende Menge von Einzelteilchen“ bezeichnet. Mit dieser Versachlichung wird man der hier zu sehenden aktuellen Bestandsaufnahme durchaus gerecht. Gleichwohl entspricht der Begriff Cluster dem künstlerischen Selbstverständnis von Julius Ruge, der seine Bild-Konvolute in bestimmte Phasen unterteilt, die aufeinander anschließen.


Während der Betrachtung seiner Bilder sitzt man schnell der Ambivalenz aus zeichenhafter Form und subtiler Haptik auf. Die Wucht dieser geballten Zeichen, die wie Archetypen wirken, erinnern dunkel an Tags, verfeinern sich jedoch, je näher man ihnen kommt. Nimmt man diese Spur auf, spürt man einen Sog, der zu einer andauernden Betrachtung verführt. Gibt man dieser Verführung nach, erschließt sich wiederum erst der in jedem Bild ausdifferenzierte Auftrag der Farbe Schwarz auf dem immer wieder gewählten weißen Fond. Das Material selbst, zum Beispiel Ölkreide für die 2020 entstandene Splitter-Serie, fordert einen äußerst präzis gezogenen Strich mit der Hand heraus. Schwarze Acrylfarbe hingegen wurde für die drei zwischen 2021 und 2024 entstandenen Dschinn-Geist-Bilder aus einer Tube mittels Düse gedrückt. So entstanden pastose Verläufe, die sich von der Leinwand reliefhaft abheben. 


Durch vergleichendes Sehen erwirbt man gerade in dieser Ausstellung die Fähigkeit und spürt den Genuss, jedes einzelne Bild von den anderen Unikaten einer Werkreihe unterscheiden zu können. 

Durch die konsequente Reduktion auf das bildgebende Schwarz und die komprimierte Formensprache besitzt jedes Bild eine erstaunliche Präsenz. Als habe Julius Ruge seine früheren künstlerischen Wurzeln als Streetartist und die damit verbundene Bildsprache des Graffitis sublimiert. Und dennoch sollte man sich von der offensiven Attitüde des Ausdrucks weder einschüchtern lassen noch damit zufriedengeben. Stofflich verblüffende Texturen zeigen sich, offene Liniengespinste und eine Zweidimensionalität suggerierende Lichtführung. 

Die 2020 entstandene Werkreihe „Splitter“ wirkt in der Wiederkehr bestimmter runder und eckiger Grundformen wie eine in der Musik oft zu findende serielle Behandlung eines Themas, das in Variationen immer wieder auftaucht. Die kompakte Hängung der 16 Bilder im Untergeschoss zeigen eine ähnlich faszinierende Reihe in deren rhythmischem Wechsel. 


Einerseits deuten die an Korbblütler erinnernden Rundformen oder dornengleichen Spitzen auf eine elementare Sprache hin, die auf dem floralen Naturstudium des Künstlers basieren wird. Gleichwohl könnten sie auch ihren Ursprung im Augenmerk auf die Fauna haben. Die Rundform drängt mir just einen Insektenleib auf, gelängte Spitzen erscheinen auf einmal wie Fühler. Hinter der hybriden Unbestimmtheit verbirgt sich die gestalterische Absicht von Julius Ruge. Als würde er seine Bilder in einem Schwebezustand der Mehrdeutigkeit belassen wollen. Wenn er zeichnend und malend Formen aus seinem Unterbewußten heraufholt, bleibt sein Gestaltungswille dennoch phasenbestimmt und fernab jeder Akzeptanz für Zufälligkeit. Insofern kann man vielleicht seinen Exerzitien als obsessiver Zeichner zuschreiben, dass sich innerhalb des Prozesses Psychogramme zeigen. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, wenn man den Weg von der Herstellung unzähliger Skizzen bis zu einem für ihn gültigen Bild mit diesem Begriff klammern würde. 

Jetzt könnten Sie einwerfen, dass gerade die beiden links bzw. rechts in diesem Raum zu sehenden Werkreihen unzweifelhaft einen Psychogramm-Charakter haben – die fünfteilige Werkreihe „Artefakt“, 2016 datiert, sowie das Triptychon „Ein Kreuz und das böse Kind“ aus dem Jahr 2018 … Der Gestaltungswille bleibt planvoll und gibt Interpretationsfährten (Plural) vor. Die fünf Artefakte aus dem Jahr 2016 wirken wie Adaptionen aus einem Handbuch für Rorschachtests. Allerdings fehlt ihnen das Fluide eines für die Psychoanalyse wichtigen authentischen Moments. Ergo lässt sich innerhalb des malerischen Prozesses die Entstehung der Reihe nicht von der Reflexion darüber trennen. Die Artefakte provozieren den Eindruck, dass es sich um ironische Remakes von Porträt-Silhouetten aus dem Biedermeier handeln könnte.

Und um erneut den Aspekt der Verführung zu benennen: Ich reibe mich voller Hingabe an dem Widerspruch, dass der Titel des Triptychons im Verhältnis zu allen anderen Bildtiteln die klarste inhaltliche Bestimmung vorgibt, ohne dass die drei Bilder mehr zeigen als ein Kreuz und drei schemenhafte, kopfähnliche Rundformen. 


Potsdam, 19.04.2024

Thomas Kumlehn

Der Potsdamer Maler Julius Ruge zeigt in der Reihe „Red Wall“ seine „Machineheads“

In den ersten Minuten noch glaubt man an einen Scherz, hält diesen kurzen Film für eine Inszenierung über einen Menschen und seine befremdliche Leidenschaft. Da steht einer in einem Hundekostüm am Straßenrand wie bestellt und nicht abgeholt. Später tanzt er in seiner Wohnung, noch immer in diesem Hundekostüm, zu Diskomusik, versucht durch die überdimensionierte Hundeschnauze einen Strohhalm zu stecken um zu trinken und erzählt dann, wie sehr er es doch immer wieder genießt, sich in dieser Kostümierung als Tier zu fühlen.

Julius Ruge ist begeistert von diesem Kurzfilm mit dem Titel „A Furrytale“. „Er passt perfekt“, sagt Ruge und blickt dabei so ernst und undurchschaubar, dass unklar bleiben muss, ob er dieser ungewöhnlichen Leidenschaft des anonymen „Fursuiter“ – so der Fachbegriff für den Freizeitfellträger – glaubt oder den Film nur für einen künstlerischen Geniestreich hält. Aber ob man nun glaubt oder nicht, was „A Furrytale“ zeigt, verwirrt auf jeden Fall. Wie die Bilder von Julius Ruge, die ab kommenden Dienstag im Waschhaus zu sehen sein werden. „Machineheads“ hat Julius Ruge seine Porträtreihe genannt. Es ist die mittlerweile fünfte Ausstellung der Anfang dieses Jahres begonnenen Reihe „Red Wall“, die jungen Künstler die Möglichkeit geben soll, ihre Arbeiten in einem kleinen Rahmen ausstellen zu können. Zur Ausstellungseröffnung wird auch „A Furrytale“ gezeigt.

Ruge hat einen Teil der Bilder auf dem Tisch ausgebreitet. Insgesamt werden 18 Porträts – 14 klein- und 4 großformatige – im Waschhaus-Flur hängen. Bilder, die man nicht im Vorübergehen aufnimmt. Es sind anfangs bedrückende und verstörenden Gesichtslandschaften, die der 29-jährige Künstler für diese Ausstellung gemalt hat. Nur bei wenigen sind die Gesichter auf den ersten Blick zu erkennen. Menschliche Formen und Konturen, oft nur vage, verschwimmen mit den technischen Details, die hier in die „Machineheads“ gepflanzt wurden. Albtraumhafte Gesichter, Geschöpfe gar, die Ruge auf das Papier gebracht hat. Doch je länger man sie betrachtet, umso mehr schwindet die anfängliche Distanz zu diesen abstrakten Wesen, diesen unerklärlichen Zwitterteilen. Und dann entdeckt man die kleinen Details, die grafischen Finessen, die in diesen Porträts stecken und stellt fest, dass hinter dem Furchteinflössenden oft auch etwas Humorähnliches lauert. Comichafte Anspielungen, die dem Kantig-Fremdartigen etwas Weiches, fast schon Zugängliches geben.

Ähnlich wie der Kostümträger in „A Furrytale“ sind auch die „Machineheads“ des Potsdamer Malers Julius Ruge Außenseiter. Ihr Anderssein verstört und lässt auf Distanz gehen. Weil das Vertraute fehlt, wirkt hier Abneigung. Während man aber bei „A Furrytale“ die ganze Zeit das Gefühl nicht los wird, einem cleveren Team von Spaßfilmemachern auf den Leim zu gehen, wirken Ruges „Machineheads“ in ihrer Starrheit tiefer und stärker. Das anfänglich Verwirrende der „Machineheads“ weicht einer gewissen Faszination. Ein Grund dafür liegt auch in der Technik, mit der Ruge hier gerabeitet hat.

Dominierend ist dabei die Farbe Blau. Mal in feinen Strichen, mal in dichter Schraffur. Es ist das Blau des Kugelschreibers, das die „Machineheads“ prägt und ihnen etwas bekannt Kühles geben. Das Feine, Filigrane des Kugelschreiberstrichs, das Ruge schon seit Jahren fasziniert, regelmäßig in seine Arbeiten einfließen lässt und förmlich das Technische an diesen nur in Grundrissen humanoiden Wesen noch unterstreicht. Wesen, deren Deformationen noch längst nicht abgeschlossen sind. Es ist der Prozess der Entstehung, der Julius Ruge bei der Arbeit an diesen Porträts fasziniert. Kein klares Konzept, sondern eine Vorstellung, ein Gefühl, von dem er sich leiten lässt. Und das ihn immer weiter treibt. „Einige der Porträts sind noch nicht ganz fertig“, sagt Ruge. Die Deformation seiner „Machineheads“ schreitet immer weiter fort. So kann es sein, dass Ruge noch kurz vor der Ausstellungseröffnung die letzten kugelschreiberblauen Striche hinzufügen muss.

Dirk Becker
Potsdamer Neueste Nachrichten 02.07.2011

Vom Herd zum Bauhaus

Maler und Gourmet: Julius Ruge stellt seine Bilder im Lapis Lazuli vor 

Es ist keine Seltenheit, dass an den Wänden von Cafés und Restaurants Bilder von Künstlern der Stadt hängen. Einmalig dürfte jedoch sein, dass, wie im Lapis Lazuli im Holländer Viertel, ein bildender Künstler seine Bilder ausstellt und gleichzeitig hinter dem Herd steht. Julius Ruge ist beides, ein mit 24 Jahren noch junger Künstler und eben auch ein Koch mit professioneller Einstellung. Man könne, sagt Ruge, durchaus das Kochen mit der Malerei vergleichen. Beides seien intuitive Prozesse. In der Küche habe er ein „inneres Konzept“, wie ein Essen werden soll. „Aber“, sagt Ruge geheimnisvoll, „in der Malerei passieren zwischen Anfang und Abschluss noch einige andere Dinge.“

Ruge, zurzeit Student an der Bauhaus Kunsthochschule in Weimar, hat seine Priorität gesetzt: „Die Kunst ist meine Verpflichtung.“ Er koche nebenher in Zeiten, in denen er von der Malerei nicht allein leben könne. Dabei war Ruge sehr lange davon überzeugt, Koch zu werden. Er begann eine Lehre in einem Vier-Sterne-Haus, bis die sturen Hierarchien unter dem Küchenchef und persönliche Krisen ihn zur Umorientierung brachten. Zeichnen konnte er, weil er in Stralsund, wo er lange Zeit lebte, Graffitis gestaltet hatte. Ruge bewarb sich kurzer Hand an der Bauhaus Universität mit seiner Mappe, obwohl er kein Abitur vorweisen konnte. Er wurde angenommen, genauso, wie er nun eine Zusage für die Kunsthochschule in Weißensee bekam. Dorthin will er im nächsten Jahr wechseln, um sein Handwerk noch zu verbessern. Weimar, mit seinem auf Konzeptkunst ausgerichteten Studiengang, sei für ihn zu „schräg“, er will weiter und besser abstrakt malen.

Sein malerisches Talent ist nun im urigen Café in der Benkertstraße in dreizehn Porträts abzulesen. Es ist beachtlich. Obwohl kaum durch Lehrer ausgebildet, scheint hier fast zwanghaft das Abbild eines Inneren heraus zu wollen. „Kunst kommt nicht von Können, sondern von nicht mehr anders können“, hat ein Laudator auf einer seiner bis jetzt schon sechs Ausstellungen über Ruge gesagt. Seine hier ausgestellten Porträts wären abstrakte Visionen, die ihre Entsprechung in der Wirklichkeit zum Teil erst nachträglich finden. Das klingt ein wenig skurril. Julius Ruge malte und legte hinterher fest, dass es sich um einen Musiker, einen Schachspieler oder seinen Onkel handelte. Ein Bild trägt nun den Namen „Vaclav Harsa“, nachdem ein Tscheche sich in ihm wieder entdeckte. Das eine Auge des Musikers ist durch einen großen schwarzen Klecks verdeckt. Ein Auge ist bei Ruge immer kleiner oder verformt. Das kommt daher, dass ihm die Augen so wichtig sind und es Ängste gibt, die Sehkraft zu verlieren, sagt der Brillenträger. Die Konturen der Köpfe sind mit feiner, unruhiger Linie gezeichnet. Die Gesichtsfelder sind mit transparenten Farben gefüllt, Tusche, Lack oder Pastellfarben sind eingesetzt. Die Farbpalette ist eher gedeckt. „Orangensaft würde ich nicht verwenden,“ meint Ruge, der viel mit Materialien herum experimentiert, „die Farbe ist mir zu fröhlich.“

Die erstaunlich große Eigenständigkeit, die diese Bilder besitzen, wird von den Kunstprofessoren sofort erkannt worden sein. Diese Reife bewog wohl die Sperl Galerie auch dazu, Ruge spontan die Beteiligung an der traditionellen Vorweihnachtsausstellung „Kleine Formate“ zu ermöglichen.


Strich und Farbe wirken sehr leicht und frei gesetzt, sie haben eine Selbstverständlichkeit, die nur durch ein großes Talent oder durch fleißige Arbeit erreicht wird. Und fleißig ist Ruge. Ungefähr 1300 Werke zählt er bereits, viele davon hat er auf seinem Laptop archiviert. Akte und Körperstudien, Torsi in einer größeren Farbigkeit als bei den hier gezeigten Porträts bezeugen, dass hier eine kraftvolle Innenwelt nach außen quellen will, deren Subjektivität ursprünglich, naiv - ganz im künstlerischen Sinne ist - und deswegen äußerst kraftvoll wirkt. Auch hier passt der Vergleich zwischen Küche und Kunst. Denn bei Julius Ruge droht permanent etwas deftig Künstlerisches überzukochen.

Matthias Hassenpflug 
PNN Tagesspiegel
07.03.2007